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Gilbert Goffinet, Förster von Ajoie-Ouest, geht der Anblick von absterbenden Buchenflächen emotional nahe. Foto: Mischa Hauswirth

ZeitschriftenLesezeit 2 min.

Zwei Förster, ein besorgter Blick: Gedanken zum Baum des Jahres

Bereits zum zweiten Mal wurde die Buche mit dem Ehrentitel «Baum des Jahres» ausgezeichnet – doch wird es je ein drittes Mal geben können? Die Zukunft der Buche macht den Fachleuten zunehmend Sorgen. Wie es ohne «Mutter des Waldes» weitergehen könnte, ist offen.

Von Mischa Hauswirth und Thomas 
Güntert* | Nach einem kleinen Marsch entlang von Rückegassen und durchs Unterholz bleibt Gilbert Goffinet vor einer mächtigen Buche stehen. Sanft streift der Förster des Forstbetriebes Ajoie-Ouest über die Rinde, tätschelt den Stamm. «Das hier ist unser ‹arbre président›», sagt Gilbert Goffinet. Das will so viel heissen, wie dass das der grösste Baum im rund 1800 Hektar grossen Gebiet ist, das der Förster betreut. «Ich schätze diese Buche auf sicher 200 Jahre.»

Der Baum ragt rund 40 Meter in die Höhe. Auch wenn es rundherum im Sommerhalbjahr grün sei und überall Jungwuchs aus dem Boden schiesse, ob diese Jungbuchen je wieder so alt, gross und mächtig wie der ‹Arbre Présdident› werden, sei mehr als ungewiss, sagt Gilbert Goffinet.

Ein Blick in die Kronen aus einiger Distanz verrät den Grund des düsteren Försterblicks in die Zukunft: Äste und ganze Kronenteile von stattlichen Buchen ragen wie Skelettfinger in den Himmel. «Innerhalb von wenigen Jahren sterben diese Bäume ab. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen etwas.»

Wir fahren in einen Wald ausserhalb von Bure (JU). Die Fläche liegt leicht am Hang, Westlage. Besonders im Sommer brennt hier die Sonne mit ganzer Kraft. Aus einer grünen Unterschicht ragen etliche halb oder ganz abgestorbene Bäume. Gilbert Goffinet schaut sich die Kronen eine Weile an, bevor er sagt: «Ich komme nur noch selten hierher. Der Anblick ist für mich emotional und nicht leicht zu ertragen.» Es ist zu sehen, dass ihm das Buchensterben in seinem Gebiet, in dem er schon über 20 Jahren Förster ist, sehr nahegeht. Seit dem trockenen Sommer 2018 beobachtet Goffinet, wie 
Buchen flächenweisen langsam absterben. Nicht nur an einigen Standorten, überall im Revier ist dieser Prozess im Gange. Immer wieder, auch als wir mit dem Förster unterwegs sind, liegen herabgebrochene Äste auf den Waldwegen. «Wir wissen nicht, was wir gegen dieses Absterben tun sollen und was es für die Zukunft unserer Wälder bedeutet», sagt Gilbert Goffinet. Hoffnung und Zuversicht klingen anders.

An manchen Orten entnimmt das Forstteam von Gilbert Goffinet die absterbenden Bäume aus den Beständen, um das Risiko von umstürzenden Bäumen oder herabfallenden Ästen zu reduzieren. Gerade bei Wanderwegen sei das wichtig, sagt Goffinet. Seit einigen Jahren aber müssen die Forstwarte immer wieder auch in Beständen 
mit vertrocknenden Buchen eingreifen, damit deren Holz noch als Industrieholz verkauft werden kann. Vertrocknetes, abgestorbenes Buchenholz lasse sich nicht mal mehr recht als Brennholz verkaufen, erklärt Gilbert Goffinet.

Viele Buchen, keine Zukunft

Im von Gilbert Goffinet betreuten Gebiet stehen rund 70 Prozent Buchen. «Wenn wir diese wichtige Baumart verlieren, weiss ich nicht, welche Arten dann im künftigen Wald dominieren werden», sagt er.

Ein anderer typischer Buchenstandort befindet sich auf dem Seerücken im Kanton Thurgau. Hier hat der zuständige Förster, Christof Heimgartner (38), in den Jahren 2017 und 2018 so viel Sturmholz aus dem Wald holen müssen, dass er in den 
folgenden Jahren die Nutzung drosselte. Doch die Buche erhole sich auf dem Seerücken bei Sturmschäden und hohen Temperaturen schnell, sagt Heimgartner. 
«Sie bleibt bei uns sehr lange grün.»

Früher erzielte die Buche beim Holzverkauf hohe Erträge und sicherte den Waldleuten den Broterwerb, erzählt Heimgartner. Heute sei das anders. Auf die Frage, ob er die Buche noch als einen Baum mit Zukunft sehe, zuckt Heimgartner mit der Schulter und bemerkt, dass auch die Esche früher mal als Pionierbaum gegolten habe. «Wenn früher eine Esche wuchs, hat man sie wachsen lassen, weil sie keine Probleme machte. Heute will man sie nicht mehr, weil sie Probleme macht», sagt Heimgartner. 

Der Förster hat eine gewisse Angst davor, dass es der Buche wie der Esche ergehen könnte, bei der der Bestand in 
den letzten Jahren durch das von einem Pilz verursachte Eschentriebsterben stark dezimiert wurde.

Einige lebende Buchen in Heimgartners Revier sind von Hallimaschpilzen befallen. Die Rinde ist geplatzt. Der Nährstoffstrom unterbrochen. Meistens bedeutet ein solcher Befall für den Baum den langsamen, aber sicheren Tod. Heimgartner weiss, dass es in der Region Gebiete gibt, wo die Situation weit problematischer ist. «Die Lage ist keineswegs dramatisch. Unsere Buchen auf dem Seerücken sind gesund», betont Heimgartner.  Im Nachbarkanton Schaffhausen jedoch hätte die Buche an trockenen, kies- und kalksteinigen Standorten massive Probleme, erklärt der Förster. 

Würde «das Horrorszenario» eintreffen und es würde auch hier ein Buchensterben geben, so «würden auf dem Seerücken grosse Waldflächen verschwinden», sagt Christof Heimgartner. Wie sein Berufskollege in der Ajoie sagt auch der Thurgauer Förster, dass es, wenn die Buche als wichtige Baumart für die Zukunft ausfällt, rasch an ebenbürtigem Ersatz mangelt. «In Eschenbeständen gibt es immer Buchen- und Ahornbäume in der unmittelbaren Umgebung, die aufkommen, wenn die Eschen wegfallen», 
sagt Heimgartner. Auch für Gilbert Goffinet kommt weder der Ahorn noch die Esche als Ersatz infrage. Der Förster aus der Ajoie beobachtet aber, dass Linden oder Eichen mit den klimatischen Bedingungen besser klarkommen als die Buche. Und solange, die Esche mit dem Eschentriebsterben zu kämpfen habe, werde sie auch nur als eine Baumart unter anderen gefördert, erklärt Gilbert Goffinet. Ihn beschäftigt vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Buchen in seinem Revier absterben. 

Natur wird den Weg zeigen

Auch wenn der Thurgauer Förster Christof Heimgartner noch gesunde und vitale Buchen im Bestand hat, so 
ist die Buche auch für ihn keine wirkliche Alternative, wenn es darum geht, einen Fichtenbestand in einen 
Laubmischwald zu überführen. Zur 
Erinnerung: Expertinnen und Experten sehen die Fichte auf vielen Standorten im 
Schweizer Flachland als keine zukunfts-
trächtige Baumart, weil sie mit den veränderten Klimabedingungen gerade 
in tiefen Lagen schlecht zurechtkommt. Das macht sie anfällig auf Borkenkäferbefall oder darauf, dass sie aufgrund des 
Wassermangels abstirbt.  Weil sich Buchenholz bei Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen leicht verzieht und reisst, ein schweres Eigengewicht hat und schwierig zu bearbeiten ist, wird es auf dem Bau gemieden. Zudem ist die Buche astiger und wächst nicht so gerade wie beispielsweise die Douglasie. Durch den guten Brennwert wird Buchenholz überwiegend als Energieholz genutzt. Heimgartner bemerkt,  dass es in Les Breuleux (JU) die Firma  Fagus gibt, die aufgrund der hohen Festigkeit mit neuen Technologien  wieder Konstruktionsholz aus verleimtem  Buchenholz herstellt. 

Gilbert Goffinet ist  zwar skeptisch, was die Zukunft der Buche in der Ajoie betrifft. Er ist aber andererseits davon überzeugt, dass die Natur eine Lösung findet, wenn die Buche ausfällt oder zu einer Baumart unter vielen wird. «Das Einzige, was ich tun 
kann, ist, der Natur zu folgen und zu schauen, was sie macht», sagt der Förster. Sein Vertrauen in die Regenerationskraft des Waldes ist unerschütterlich. «Die Natur ist grösser als wir», sagt Gilbert Goffinet. «Sie wird uns die Antwort auf die Frage nach der richtigen Baumartenwahl geben.»

  • Mischa Hauswirth ist Chefredaktor von «Wald und Holz» und «La Forêt», Thomas Güntert ist freier Journalist

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