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Wer in der Nähe von Ballungszentren Wald besitzt, wie hier oberhalb von Dorneck, ist mit einer Vielzahl von Anforderungen konfrontiert. Wanderer, Jogger, Erholungsuchende und Biker wollen, dass der Wald ihre Bedürfnisse befriedigt – Meistens ohne finanzielle Beteiligung. Foto: Pixabay

ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Waldbesitzer im Kreuzfeuer von unterschiedlichen Bedürfnissen

Durch die zunehmende Verdichtung der Wohngebiete steht der Wald als Erholungsgebiet zunehmend unter Druck. Nutzungskonflikte zwischen verschiedenen Interessengruppen sollen durch partizipative Ansätze und eine neu entwickelte Weiterbildung verhindert werden.

Manuela Donati* | Wurde der Wald in der Literatur des 18. Jahrhunderts noch als verwunschener Ort der Einsamkeit beschrieben, als Ort des Abgeschiedenseins, als Ort des Denkens und Sinnierens mit fast mystischer Komponente, muss man diese Einsamkeit heute erst suchen. Der Wald ist zu dem Ort geworden, wo alle aufeinandertreffen: Spaziergänger, Mountainbike-Fahrer, Familien beim «Brätle» und Waldfachleute bei der Arbeit. Im Spannungsfeld dieser vielen verschiedenen Interessengruppen stellen sich zwei wichtige Fragen: Wie soll der Wald genutzt werden? Und wem gehört er eigentlich, beziehungsweise. wer darf tatsächlich Ansprüche stellen?

Zumindest die zweite Frage ist rechtlich gesehen schnell beantwortet: Der Schweizer Wald gehört rund 250 000 verschiedenen privaten und öffentlichen Eigentümern. 1907 wurde das freie Betrittsrecht der Schweizer Wälder im Schweizerischen Zivilgesetzbuch festgehalten. Und das ist wohl der Hauptgrund, weshalb es zwischen den Interessengruppen immer wieder zu Spannungen kommt. Der Spagat zwischen Holznutzung und Erholungsbedürfnis äus-
sert sich für viele Waldbesitzer in einer schwierigen Realität: Sie müssen sich im Arbeitsalltag anpassen und Defizite in der Waldbewirtschaftung in Kauf nehmen. 
Das wird von vielen als Fremdbestimmung empfunden.

Gleichzeitig hat sich besonders in siedlungsnahen Gebieten der Druck auf die Wälder als Erholungsraum erhöht. Die Gründe sind die zunehmende Verdichtung der Wohngebiete sowie die schweizerische Besonderheit, dass diese siedlungsnahen Wälder für zwei Drittel der Bevölkerung zu Fuss in weniger als zehn Minuten erreichbar sind. «Die Menschen erholen sich dort, wo sie auch leben und arbeiten», sagt Landschaftsarchitektin Brigitte Nyffenegger. «Die Qualität des Waldes liegt auf der Hand», ergänzt Susanne Karn, Professorin für Landschaftsarchitektur. «Der emotionale Zugang der Menschen zum Wald ist deutlich: Sie kommen, um Stress abzubauen oder dem Alltag zu entfliehen, sie haben Lieblingsrouten und -plätze.» Doch: «Mit dem Bevölkerungswachstum in der Schweiz wird auch der Erholungsdruck auf die Wälder immer grösser.» Deshalb müsse der Wald als Erholungsraum unbedingt erhalten und Konflikte geklärt werden, ist Brigitte Nyffenegger überzeugt. Zusammen mit ihrer Co-Autorin Susanne Karn hat sie sich mit der Frage befasst, wie dieses Nebeneinander zu einem Miteinander werden kann. 

In ihrem Buch «Erholung in siedlungsnahen Wäldern» (vergleiche «Wald und Holz» 11/22) setzten die Autorinnen auf partizipative Ansätze und eine stärkere Einbindung der Gemeinden. «Für die Einwohnergemeinden sind attraktive Wälder eine langfristige Investition. Das muss kein Widerspruch zum ökonomischen Gedanken sein», sagt Brigitte Nyffenegger. Der Wald als Erholungsraum stehe einer forstwirtschaftlichen Bewirtschaftung nicht im Wege, sind sie sich einig. Nur müssen die forstwirtschaftlichen Entscheide neu durchdacht werden: «Ob man alte Bäume stehenlässt, ist einerseits eine finanzielle Frage, aber auch eine ästhetische. Ein alter Baum trägt auch zum Erlebnis im Wald bei», sagt Susanne Karn. Zentral sei die Frage: «Was kostet uns Holzproduktion und was die Erholung, und wie können wir es entsprechend finanzieren?»

Riehen reagiert auf Erholungsdruck

In verschiedenen Gemeinden hat bereits ein Umdenken stattgefunden, so zum Beispiel in Riehen (BS), wo seit 2021 nicht mehr auf Holzproduktion gesetzt wird. Das ist eine Reaktion auf das starke Interesse der Basler Bevölkerung am Wald. «Wir pflegen den Wald entsprechend auch als naturnahen Erholungsraum», sagt Revierförster Andreas Wyss und nennt als Beispiel das Gebiet der Langen Erlen, wo die Entscheidung der Gemeinde direkte Auswirkungen auf die Arbeit der Förster hat, etwa in der Wahl der Baumarten oder dem Einsatz der Maschinen. «Eine gute Planung, Koordination und Kommunikation sind wichtig», betont Andreas Wyss. Weil das Defizit des Forstbetriebs durch die Gemeinde gedeckt wird, ist es möglich, auf eine übermässige Erschliessung zu verzichten. «Teilweise werden die Wälder sogar intensiver genutzt als früher, allerdings setzten wir nicht überall alles ein, was technisch möglich wäre», sagt Andreas Wyss. «Wir nehmen diese Mehraufwendungen in Kauf.»

Eine Weiterbildung für mehr Verständnis

Klar ist: Noch gibt es keine zufriedenstellende und allgemein anwendbare Lösung. Und noch lange sind nicht alle Gemeinden so weit wie Riehen. Denn noch verläuft die Kommunikation der verschiedenen Interessengruppen im Wald vielerorts harzig. So stellten Susanne Karn und Brigitte Nyffenegger während ihrer Forschungsarbeit fest, dass auch ihre Forschungstätigkeit im Wald als Fremdbestimmung empfunden wurde. Deshalb hat Brigitte Nyffenegger einen Weiterbildungskurs mitentwickelt, der Unverständnis und Angst abbauen soll und Grundlagenwissen in Ästhetik und Erholung im Wald vermittelt. «Ich als Gestalterin spreche eine andere Fachsprache als der Forstingenieur. Es geht auch darum, das Vokabular des anderen zu lernen, die Fragestellungen des anderen zu verstehen und Lösungsansätze zu entwickeln.»

Der bewusst interdisziplinär gehaltene Lehrgang soll Forstingenieure dabei unterstützen, den verschiedenen Erholungsbedürfnissen Raum zu geben und angemessene Infrastruktur dafür zu finden. Auch die Finanzierung der Erholungsinfrastruktur wird in der Weiterbildung thematisiert. Diese soll im Herbst 2023 an der Ostschweizer Fachhochschule OST in Rapperswil und der Berner Fachhochschule BFH in Zollikofen (BE) starten. 

*Manuela Donati ist  freie Journalistin.

 

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Susanne Karn ist Professorin für Landschaftsarchitektur mit Fachgebiet Sozialorientierte Freiraumentwicklung und Gartenkulturgeschichte sowie Institutspartnerin an der Ostschweizer Fachhochschule OST. Brigitte Nyffe-
negger ist als Landschaftsarchitektin und Lehrbeauftragte im Studiengang Landschaftsarchitektur an der Ostschweizer Fachhochschule OST tätig. Sie ist Partnerin vom Zürcher Landschaftsarchitekturbüro Umland. Susanne Karn und Brigitte Nyffenegger haben das Buch «Erholung in siedlungsnahen Wäldern - Früher, heute und in Zukunft» 2022 im Hochschulverlag herausgegeben. Es basiert auf Ergebnissen ihrer gemeinsamen Forschung und soll Hinweise zur Weiterentwicklung von gesetzlichen und planerischen Grundlagen, Planungsprozessen und Fachwissen sein. 

Die Publikation kann auch kostenlos unter https://vdf.ch/ebooks heruntergeladen werden.

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